manchmal habe ich das gefühl, nicht mit offenen augen (und ohren) durch mein bisheriges leben gegangen zu sein. oder welche erklärung gibt es sonst dafür, dass ich christiane rösinger nicht schon viel früher wahrgenommen habe? ich weiß es nicht. fakt ist: es war höchste zeit alles nachzuholen.
das im februar erschienene album „lieder ohne leiden“ war grund für den besuch im wiener brut. erwartet hatte ich im grunde nichts. ich hatte den eindruck, dass christiane rösinger nur in der fm4-blase von bedeutung war und nur vereinzelt menschen notiz von ihr nahmen. auf dem weg ins brut wurde ich aber eines besseren belehrt. denn als ich vor der venue stand, zeigte sich mir ein bild, mit dem ich am allerwenigsten rechnete: eine schlange vom eingang bis zur straße, die sich nur schleppend in bewegung setzte. puh.
das brut platzte beinahe aus allen nähten, die temperatur stieg – es war an der zeit für frau rösinger die bühne zu betreten. ihre bandmitglieder, die bis auf andreas spechtl von ja panik alle weiblich waren, schritten als erstes auf das bühnenparkett. danach folgte christiane rösinger. gekleidet ganz in schwarz.
sie begann mit zwei liedern vom aktuellen werk, ehe sie zum ersten mal zur menschenmenge sprach und die redewendung „das geht sich nicht aus“ erklärte (die ja in österreich nicht so gängig zu sein scheint, hihi). schon zu diesem zeitpunkt hatte sie mich auf ihrer seite – wer so nüchtern und klar den besten augenzwinker-humor zum vorschein bringt, kann einfach nur großartig sein. ebenso großartig fand ich ihre songs. das erste musikalische highlight für mich war „joy of ageing“ und die dazugehörige anekdote. denn eigentlich hätte ein buch von ihr so heißen sollen, aber bei der recherche über das thema „altern“ wurde sie furchtbar depressiv und deswegen schrieb sie lieber einfach nur ein lied darüber, statt einen ganzen schinken. gute entscheidung!
soundtechnisch bewegte sich frau rösinger in einem rockigen independent-gewand, das mich sehr an die nullerjahre erinnerte. deutschsprachig, ein bisschen schief und viel gitarreneinsatz. aber die wichtigsten komponenten: intelligenz und das spiel mit den worten. nicht nur in songtexten sondern auch bandintern. als christiane rösinger ihre schlagzeugerin fragte „was kommt jetzt?“ und sie mit „was jetzt kommt“ antwortete, war nicht sofort klar, was das zu bedeuten hatte. die aufklärung folgte prompt: „was jetzt kommt“ sei ein songtitel und die frage „was kommt jetzt?“ ist wie eine literarische kreisform – verstanden? natürlich! die lehrergene gingen mit frau rösinger durch, aber wir waren brave schüler.
dass sie eine gewisse grundintelligenz von ihrem publikum voraussetzte merkte man auch daran, dass der song „lieder ohne leiden“ gleich mal in vier sprachen angekündigt wurde. ebenfalls angekündigt wurde „das traurigste lied der musikgeschichte“, welches den titel „ich muss immer an dich denken“ trug. ufff. das war wirklich sehr berührend.
besonders beeindruckt hat mich aber abseits der musik, ihre art des geschichten erzählens zwischendurch. und ihre art die dinge und sich selbst nicht so ernst zu nehmen. sie plauderte darüber, dass sie lieder aus drei jahrhunderten präsentierte, und eines davon aus dem 18. jahrhundert sei aber nicht von ihr, obwohl sie natürlich über 100 jahre alt ist aber eben nicht 300 jahre alt. sie meinte auch, dass zu singen gedanklich hoch anstrengend sei und die band sich überhaupt nicht strapazieren müsse. ach frau rösinger!
es folgte der song „eigentumswohnung“ als auflockerung, ehe es wieder richtung herzschmerz und ende der show ging. aber auch in einer welt der christiane rösinger gibt es zugaben. die erste nannte sich „berlin“. ihre bandmitglieder nannte sie übrigens princess of harmony (am keyboard), andrew lloyd webber (andreas spechtl an der gitarre) und lara croft (am schlagzeug).
die zielgerade der show gestaltete sich nochmal gespickt mit jeder menge botschaften: eine davon war ein hinweis auf eine aftershowparty (die, wie ich viel zu spät erfahren hab, im schikaneder stattfand). die zweite befand sich in den lyrics des letzten songs, ich zitiere: „jeder ist in seiner eigenen welt, aber meine ist die richtige“ – ich notierte mir das als zukünftiges lebensmotto. und dann? dann ging das licht an, die menschen drängten nach draussen (die meisten einfach nur wegen der dringend notwendigen tschick), ich holte meine jacke und verließ das immer noch volle brut. es war ein schöner, intelligenter und vor allem lustiger abend. danke christiane rösinger!