man kennt sie alle, zumindest vom hörensagen: bob dylan, bruce springsteen, the ramones, patti smith, blondie, the strokes bis hin zu interpol. was sie alle miteinander verbindet? ihr schaffen in new york, der stadt, die für viele maßgeblich von bedeutung vor allem für ihre karriere war. aber was blieb davon in der gegenwart übrig?
ende mai war es endlich soweit: ich setzte mich ins flugzeug, um nach new york zu reisen. mein erster langstreckenflug, mein erstes mal einen anderen kontinent bereisen, mein erstes mal vierzehn tage völlig allein sein. in meinen händen befand sich das buch „new york city rock“ von mike evans. es war das einzige buch, das ich zum thema rock-musikgeschichte im big apple überhaupt finden konnte. meine reise nach amerika sollte nämlich nicht nur die üblichen touristen-attraktionen beinhalten, sondern auch ein bisschen recherche zur musik-historie hergeben.
die ersten tage in der großen stadt verbrachte ich ausschließlich mit sightseeing. ich war ausserdem noch gar nicht mit dem ganzen buch fertig, um zu wissen, in welche ecken ich mich bewegen sollte. was ich aber auf jeden fall wusste, dank einer dokumentation eines streaminganbieters: den standort des ehemaligen cbgb besuchen.
bevor ich das aber in angriff nehmen wollte, stolperte ich noch in ein anderes viertel, mehr oder weniger zufällig. mit dem stetigen weiterkommen in meinem buch, erfuhr ich eine reihe von aha-effekten. ich saß gerade im washington square park in greenwich village und blätterte in meinem wälzer als ich herausfand, dass ich eigentlich mitten im geschehen war. in dem viertel, in dem die ganz großen sich aufhielten, als sie beschlossen, vor zig jahren musik machen zu wollen…
von tin pan alley bis rock’n’roll
beginnen muss ich bei dieser geschichte aber wo anders, und zwar bei der tin pan alley. ab 1890 siedelten sich in der 28. straße zwischen fifth und sixth avenue in manhattan ganz viele musikverlage an. musik (hauptsächlich in die schlager-richtung) wurde damals nur aus einem zweck erschaffen: zur unterhaltung der breiten masse und um viel geld zu verdienen. die, die die große kohle damit machten waren die komponisten, musiker waren rein dazu da, um den geschriebenen songs leben einzuhauchen, aber wirklich wichtig waren sie zu der zeit nicht. die industrie lebte von schallplatten- und notenblätter-verkäufen – solange zumindest, bis das radio seinen einzug hielt und alles ziemlich auf den kopf stellte.
das radio lebte von werbefirmen, verlangte ständig neue, frische musik und mit einführung von radiosteuern sowie gesetze zur schützung der urheberrechte verkomplizierte sich alles zusehends. auch damals gab es schon unabhängige plattenfirmen, die mit den neuen gesetzen nicht mehr am großen kuchen so einfach mitnaschen konnten. auf der suche nach neuer musik, die nicht in gesetze verheddert war, entdeckten diese unabhängigen plattenfirmen dann eine reihe von genres, die weit über den schlager-horizont der tin pan alley reichte. sie entdeckten blues, gospel und jazz für sich und fanden in der schwarzen bevölkerung eine große kundschaft.
schließlich veranstaltete ein radio dj in den 50er jahren partys, und legte jene platten für die weiße bevölkerung auf, die bisher nur von schwarzen mitbürgern konsumiert wurden. dieses unterfangen wurde „rock’n’roll“ genannt, weil erstmals eine verbindung und eine zusammenführung dieser ethnischen gruppen stattfand und musik plötzlich für alle da war.
der begriff „teenager“ wurde erfunden und als potentielle zielgruppe und kundschaft entdeckt. einige tin pan alley-nachkommen wollte dieser gruppe natürlich auch etwas bieten und setzten in das „brill building“ menschen, die pop-hits für teenager kreierten. was damals aber völlig unüblich war, dass musiker ihre songs selbst schreiben. aber gerade die rock’n’roll bewegung setzte es in gang, dass musizierende nun auch ihre eigenen songs schreiben wollten, auftreten wollten und in den meisten fällen kein geld dafür bekamen, da sie weder bei einer plattenfirma unter vertrag waren noch ihre werke urheberrechtlich geschützt waren und niemand das geld, die tantiemen, für sie eintreiben wollte. eine der ersten (erfolgreichen) ausnahmen war „carole king„, die nicht nur interpretin war, sondern auch autorin – und sie wurde für ihr schaffen auch vergütet.
mit dem ersten amerika-besuch der beatles in den 60er-jahren kam ein erneuter aufschwung: es gründeten sich bands und die live-szene florierte immer mehr.
die folk-szene in greenwich village und bob dylan.
abseits der geschäftigen tin-pan-alley-musikindustrie war eine lebendige szene bereits seit jahrzehnten in greenwich village im gange. durch niedrige mieten siedelten sich dort viele künstler an. rund um die bleeker street wurden cafes eröffnet und im washington square park gab es spontane folk-sessions und dichterlesungen. „bob dylan“ spielte 1961 im „cafe wha“, im „gerde’s“ und in „the bitter end“, erhielt eine erste kritik in der new york times und daraufhin auch seinen ersten plattenvertrag. etwas später, 1963, hielt martin luther king seine „i have dream“-rede, bei der bob dylan performte und sich als fixstern im new yorker musikhimmel positionierte. ja, bis plötzlich wieder die beatles auftauchten.
die briten verpassten der verträumten folk-szene eine gehörige portion ecken und kanten – die instrumente wurden verstärkt, alles wurde schroffer und rauer. beeinflusst davon wurden zum beispiel auch „simon und garfunkel„, die kurz darauf „sound of silence“ veröffentlichten und seither nicht mehr aus unserer jetzt-zeit wegzudenken sind.
1964 gründeten sich „the velvet underground„, rund um den damals als texter tätigen „lou reed„. ihre experimentelle rockmusik ließ andy warhol aufhorchen und schließlich wurden sie sowas wie die hausband in seiner „factory“. andy warhol war gemeinsam mit the velvet underground auch grundsteinleger für den psychedelic-rock, denn 1966 wurde das „dome theatre“ am st. marks place in wildester manier bespielt und gleichzeitig wurden projektionen von andy warhol auf den wänden erzeugt. lou reed stieg jahre später bei der band aus, verschwand einige zeit von der bildfläche und kehrte schließlich als großer, kommerzieller stadionrock-künstler zurück.
bodenständiger bruce springsteen.
auch „bruce springsteen“ begann in greenwich village. er spielte dort als solo-künstler, gründete aber auch gleichzeitig 1971 die e street band und blieb zunächst erfolglos, obwohl er als „neuer dylan“ gehandelt wurde. da er aber live so großartig war, machte er sich einen namen, ganz ohne hitsingle. irgendwann wurde dann aber der song „born to run“ ein erfolg und der darauffolgende streit mit seinem management hatte eine dreijährige platten-aufnehm-sperre zur folge. er begab sich auf ausgedehnte tour und blieb trotzdem in aller munde, weil künstler wie „patti smith“ seine songs coverten und hits landeten.
zur selben zeit lösten sich die beatles auf, john lennon zog mit yoko ono nach new york und lernte die szene in greenwich village kennen. wieder war es dieses inspirierende viertel, dass alle anzog.
meanwhile in brooklyn – disco!
mitte der 70er entstand der französische begriff „discotheque“. in brooklyn entickelten sich läden mit jukeboxen, zu denen getanzt wurde. 1977 eröffnete dann das „studio 54“ in manhattan und wurde mit einem schlag zum berühmtesten nachtclub der welt. denn nicht nur „normale leute“ hielten sich dort auf, auch ikonen wie andy warhol pflegten den besuch des clubs. nach drogenexzessen und einigen anderen vorkommnissen, wurde das lokal mitter der 80er geschlossen. die disco-ära hatte allerdings positive auswirkungen: „madonna„, die durch die new yorker discos tingelte, wurde schließlich genau von dieser musik beeinflusst und veröffentlichte anfang der 80er „like a virgin“.
zur selben zeit als sich das discofieber ausbreitete, wurde auch der punk geboren. allen voran „iggy pop„, der mit den stooges in den 60er-jahren in new york wütete. anfang der 70er jahre arbeitete er mit „david bowie“ zusammen und daraus entstanden seine besten werke. „the new york dolls“ waren ebenfalls wegbereiter des punk, auch wenn sie viel mehr zum glamrock tendierten.
der beginn des punk
hilly kristal eröffnete 1973 das „cbgc„, das ursprünglich ein veranstaltungsort für country-, bluegrass- und blues-acts dienen sollte. als die band „television“ dort auftrat und zu ihrem zweiten auftritt die band „the ramones“ anschleppte (etwa 1974), entwickelte sich alles in eine andere richtung. 1976 war in großbritannien mit den sex pistols eine punk-hysterie ausgebrochen und jeder betitelte england als den ursprung des punks. aber es war hilly kristal, der in „the ramones“ mit ihren 17-minuten-gigs, etwas besonderes sah und somit die eigentlichen gründer des schnellen, aggressiven punks formte.
1974 begann schließlich „patti smith“ mit der musik (neben ihrer erfolgreichen dichter-karriere) und durfte im cbgb ganze 8 wochen lang auftreten. auch debbie harrie, die als kellnerin im sognannten „max’s“ tätig war, spielte mit „blondie“ im „cbgb“ und „the talking heads“ rund um sänger david byrne und hit „psycho killer“ wurden ebenso zum festen inventar. und dann entwickelte sich alles, dank der beiden genannten bands, in richtung new wave. aus new wave wurde schließlich no wave und eine vertretende band dieser richtung nannte sich „sonic youth„. die entwicklung ging weiter und über in avantgarte-rock und post-punk und in all seine verwaschenen formen.
und schließlich hieß es: gib mir eine alternative!
während alle denkbaren formen des metals die massen anzogen, versuchte sich die gitarren-musik der 90er in allen anderen unterground sparten. „the jon spencer blues explosion“ probierten anfang der neunziger blues, rnb und soul einzubauen. der erfolgreichste, aus dem rock-kommende künstler war allerdings „lenny kravitz„, der es schlussendlich auch in die charts schaffte. und am ende war es wieder der singer/songwriter-folk, der mehr von sich reden machte: „suzanne vega“ bewies mit „luka“ und „dom’s dinner“, dass ihr schlafzimmer-folk genau zur richtigen zeit am richtigen ort erschien.
afroamerikanische rockmusik poppte auf, während hip hop ebenfalls gerade vor allem bei der schwarzen bevölkerung in seiner vollen blühte war, mc’s zu samples von turntables rappten und „public enemy“ bekannt wurden.
das neue jahrtausend
das neue jahrtausend schien mittlerweile ein problem für die kreativ-szene zu werden: in greenwich village, wo sich einst alle ansiedelten, wurde es zu teuer. schließlich zogen immer mehr menschen nach brooklyn, genauer gesagt nach williamsburg. clubs wurden geboren, genauso wie neue künstler. darunter konnte man „adam green“ aber auch julian casablancas von „the strokes“ finden, die anfang der nuller-jahre die musikwelt ordentlich auf den kopf stellten. zu ihnen gesellten sich auch „the yeah yeah yeahs“ und „interpol„, wobei die richtige geburtsstätte in form eines richtigen orts bzw eines lokals nicht mehr gewährleistet war, wie in den vergangenen jahrzehnten. die bands hielten sich zwar viel in williamsburg auf, wollten aber trotzdem in manhattan spielen. viele clubs schlossen ihre pforten, andere eröffneten und konnten sich nicht mehr als der knotenpunkt schlechthin etablieren.
wenn man sich heute in new york umsieht, dann sieht man vor allem, dass es eine stadt ist, die im ständigen wandel ist. will man musikgeschichte zum anfassen haben, findet man nicht mehr viel. die wenigen cafe’s, die seit den 50er-jahren überlebt haben, lassen kaum vermuten, was sich dort einmal abgespielt hat. andere historische plätze wie zb das cbgb, wurden geschlossen und durch lukrative (mode)geschäfte ersetzt. eine kleine gedenkwand weist zwar darauf hin, dass da mal „etwas“ war, aber richtig aufmerksamkeit wird der geschichte nicht geschenkt (die erinnerungswand im hard rock cafe am times square ist übrigens genauso nichtssagend).
selbst der vinyl-hype brachte den vielen, alten plattenläden nichts: die meisten, vor allem in greenwich village, haben geschlossen, übrig geblieben sind 2-3 läden, die sich seit zig jahrzehnten irgendwie über wasser halten. aber ob diese noch lange überleben werden?
man kann zwar durch die straßen schlendern, versuchen die alte folk-szene noch irgendwie zu erschnuppern, aber zeichen wird man nicht mehr viele finden. der washington square park ist eine oase mitten in der stadt, aber dass dort wirklich einmal bob dylan seine musikalischen anfänge nahm? das ist (fast) nirgends erkennbar.
der einzige platz, der einen zu tränen rührt, ist das imagine-denkmal in den strawberry fields im central park. und dieser handelt im grunde aber von einem briten, der sich in new york zuhause gefühlt hat. amerikanische rockmusik-geschichte, wie sie uns bis dato immer noch beeinflusst, wird in new york, der geburtsstätte nicht wertgeschätzt. die new yorker selbst wissen teilweise nicht mal etwas über ihre gegend. ein großstadtphänomen, natürlich, aber trotzdem schade, dass kultur musikalischen ursprungs derart im boden versickert und von bedeutungslosigkeit überschwemmt wird… bildende künste bekommen ihre museen, musik höchstens ein grab auf dem friedhof.